Als ich vor einigen Wochen in den Nachrichten hörte, dass Boualem Sansal in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten soll, war meine erste Reaktion: wer??? Neugierig geworden, bestellte ich seinen Roman “Harraga” für die Stadtbücherei und inzwischen habe ich das Buch auch gelesen und möchte es vorstellen: Sansal war – laut Klappentext -bis zu seiner Entlassung 2003 ein hoher Beamter im Industrieministerium Algeriens. Er schreibt auf Französisch. In “Harraga” erzählt er vom Leben in Algier und zwar spricht als Ich-Erzählerin eine allein lebende Krankenschwester mittleren Alters, die um ihren kleinen Bruder trauert, der wie so viele versucht hat, das Land auf illegalem Weg zu verlassen. Bitterböse kommentiert sie die Veränderungen im Land seit der “Arabisierung”. Sie registriert die permanente Beobachtung durch Polizei, Geheimdienste, Prediger und Nachbarn – jeder ist ein potentieller Spitzel. Besonders eng und erdrückend ist das System natürlich für Frauen. In diesem begrenzten Leben hat sie sich aber notgedrungen und verbittert eingerichtet.
Da taucht ein junges Mädchen – Chérifa – bei ihr auf: schwanger, provozierend gekleidet und nicht kompromissbereit. Sie nimmt das Mädchen auf und gibt sie als entfernte Verwandte aus. Sie kümmert sich um Chérifa, aber es gelingt ihr trotz aller Bemühungen nicht, Chérifa zu einer vernünftigen und zurückhaltenden Lebensweise zu bewegen. Sie sorgt sich ständig um dieses “Kind”, bewundert aber auch den Mut, die Sorglosigkeit und Lebensgier der jungen Frau. Alle anderen haben anscheinend den Verlust der Eigenständigkeit und Lebensfreude akzeptiert, Chérifa aber lebt so wie sie will. Natürlich geht das nicht gut…
Sansal gelingt es mit diesem Roman, beim Leser Interesse zu wecken und Einblick in eine Welt zu geben, die uns meistens nur in den Nachrichten begegnet.